Stadtentwicklungspolitik von Unten. Das Berlin von morgen machen wir alle.
Stadtentwicklungspolitik von Unten. Das Berlin von morgen machen wir alle.

 

Zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen von Rot-Rot-Grün in Berlin nimmt die Initiative Mietenvolksentscheid folgendermaßen Stellung:

 

2016-11-18_stellungnahme_des_mve_zum_r2g-koalitionsvertrag_berlin-teaser
Stellungnahme des MVE zum Koalitionsvertrag von R2G.
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Die R2G-Koalition hat in der Wohnungspolitik ein ambitioniertes Programm vorgelegt. Das ist bitter nötig, ist doch Berlin seit Jahren bevorzugter Tummelplatz internationaler Finanzinvestoren und Spekulanten auf der Suche nach sicheren Anlagen – mit dem Nebeneffekt, dass die Hauptstadt deutscher Spitzenreiter im Mietanstieg ist und ärmere Haushalte in Größenordnungen aus der Innenstadt verdrängt werden. In der Hartz-IV-Hauptstadt zahlen heute
rund 120.000 Transfer-Haushalte einen Teil der Miete „aus dem Kühlschrank“. Auch die Landeswohnungsunternehmen (LWU) haben sich in der Vergangenheit durch brutale Modernisierungspraktiken und Mieterhöhungen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

 

Die Koalition will anscheinend die Vergangenheit hinter sich lassen. Sie tut dies allerdings nicht aus freien Stücken, sondern reagiert damit nur auf zunehmend unhaltbare Zustände und den wachsenden Protest von Mieter*innen, somit sind alle jetzt beschlossenen Schritte auch Erfolge der Mieter*innen-Bewegung in Berlin. Rot-rot-grün reagiert
damit nicht zuletzt auch auf den Mietenvolksentscheid, mit dem auf Druck der Bewegungen mit dem Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG) der Umbau der LWU, die Aufstockung ihres Eigenkapitals, die Steuerungsanstalt öffentlichen Rechts (AöR) und die Einrichtung
eines Wohnraumförderfonds durchgesetzt wurde.

 

Die neue Regierungskonstellation unter Beteiligung der LINKEN und Grünen sowie der SPD will auf dem Weg des WoVG voranschreiten und die Neuausrichtung der Wohnungspolitik forcieren. Das begrüßen wir ausdrücklich. Folgende Maßnahmen halten wir für besonders wichtig:

 

  • Die Koalition will mit den Privatisierungsorgien brechen und den Verkauf von Wohnungen und Flächen an private Eigentümer stoppen. Die Wohnungen auf vergebenen Flächen sollen zu 30% -50% für WBS-Berechtigte reserviert werden. Flächen an private gemeinnützige und sozialorientierte Bauträger werden nur noch in Erbpacht vergeben.
  • Sie will den Ausverkauf von Bindungen in Sozialwohnungen durch vorzeitige Ablösung von Darlehen beenden und dies durch eine kräftige Zinsabsenkung der Aufwendungsdarlehen auf 0,5 Prozent zusätzlich verstärken. Härtefälle werden künftig auf 30% der Bruttowarmmiete bezogen.
  • Der Sonderstatus des Berliner sozialen Wohnungsbaus, dessen Mieten über dem Mietspiegel des privaten Wohnungsmarkt liegen, soll durch die Umstellung auf eine „soziale Richtsatzmiete“ mit einkommensabhängigen Mietstufen ab 2018 Geschichte sein. Der sog. Einfrierungsgrundsatz soll mietsenkend angewendet werden.
  • Die LWU werden auf eine sozial orientierte Politik getrimmt. Sie erhalten pro Jahr eine Aufstockung ihres Eigenkapitals von ca. 100 Mio. Damit sollen jährlich 6.000 Neubauwohnungen gebaut werden, davon die Hälfte als Sozialwohnungen. Die Neuvermietung
    freiwerdender Wohnungen erfolgt zu 60% an WBS-Berechtigte unter besonderer Berücksichtigung einkommensschwacher Haushalte. Die mit dem WoVG durchgesetzte AöR soll zu einem wirksamen Steuerungs- und Kontrollinstrument der LWU ausgebaut werden. Die Modernisierungsumlage wird von 9 auf 6 % der Kosten abgesenkt, die Befristung der Umlage wird geprüft. Modernisierung darf nicht zu Verdrängung führen.
  • Der Missbrauch der Förderung energetischer Modernisierung für Luxusmodernisierung und Verdrängung wird gestoppt. Wohnraumförderung soll per Nachtragshaushalt im Umfang von zusätzlich 30 Mio. pro Jahr nur noch mit möglichst langfristigen Bindungen stattfinden. Die Förderung soll in Zukunft warmmietenneutral und im Volumen von 10 Mio./a erfolgen.
  • Milieuschutzgebiete sollen auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden. Beim Ankauf (in Höhe von 10 Mio./a) wird das Land verstärkt seine Vorkaufsrechte nutzen.
  • Die Bezirke werden eng in die Stadtentwicklungsplanung einbezogen, die Übertragung der Planung auf die Senatsverwaltung gegen den Willen der Bezirke (wie beim Mauerpark) soll künftig unterbleiben. Nachverdichtung in dicht bewohnten Gebieten findet nur unter früher Einbeziehung der Bewohnerschaft statt. In den Bezirken werden Wohnungsämter (wieder) eingerichtet, für die Personalaufstockung stehen den Bezirken jährlich 50 Mio. Euro zur Verfügung.
  • Stadtplanung an den Bürger*innen vorbei soll der Vergangenheit angehören. Dazu werden auf Landes- und Bezirksebene Anlaufstellen geschaffen.
  • Durch kräftige Absenkung der Schuldentilgung im Landeshaushalt von 600 Mio. auf 80 Mio. Euro pro Jahr steht ein jährliches Investitionsvolumen von zwei Mrd. Euro zur Verfügung, das auch der Wohnungspolitik zugutekommen wird.

Schwachpunkte und Beharrungskräfte

Bei allen Fortschritten dürfen die Schwächen des Programms nicht verschwiegen werden:

 

  • Die Einführung einer Richtsatzmiete ist seit Jahren heftig umstritten, die SPD war lange Zeit strikt dagegen. Dass sie nun Programm ist, ist dem Druck der alten Oppositionsparteien und der Bewegungen zu verdanken. Die konkrete Ausgestaltung ist allerdings völlig offen, der Gegensatz ist fundamental: Die SPD will die Anbindung an den Mietspiegel des privaten Wohnungsmarkts, LINKE und Grüne wollen politisch festgesetzte Mietobergrenzen und damit ein bundesweit einmaliges Modell durchsetzen.
  • Die Senkung der Mieten auf bis zu 5,75 Euro/qm im alten Sozialen Wohnungsbau liegt nur 9 Cent unter dem berlinweiten Mietspiegel, die Zinssenkung auf 0,5% und „bis zu“ 5,75 Euro gilt nicht für die ca. 80.000 Wohnungen mit bereits abgelösten Darlehen. Damit ist das Mietendefizit dieses Sektors gegenüber dem privaten Wohnungsmarkt nicht behoben.
  • Der Neubau von 5.000 Sozialwohnungen kann den jährlichen Abbau von 5 – 8.000 Wohnungen (in 2014/15 jeweils ca. 10.000!) durch Auslaufen der Bindungen nicht kompensieren, zumal völlig offen ist, ob die geplanten 2.000 Sozialwohnungen bei privaten Investoren durchsetzbar sind. Auf Jahre hinaus wird der Bestand an Sozialwohnungen weiter schrumpfen.
  • Die Maßnahmen für Hartz-IV-Haushalte halten wir angesichts der in Berlin vorhandenen ca. 360.000 Haushalte für unzureichend: Für diese Personengruppe gibt es bei den geplanten 3.000 Sozialwohnungen der LWU keinen vorgegebenen Anteil, hier wäre mindestens ein hälftiger Anteil notwendig. Zudem ist offen, ob die Mietzahlung aus dem Regelsatz (s.o.) vollständig gestoppt wird.
  • Die Durchsetzung der Steuerungs- und Kontrollfunktion der AöR wird auf heftigen Widerstand von BBU und LWU stoßen. Es bleibt abzuwarten, ob Politik und Verwaltung die notwendige Unterstützung liefern.
  • Die Miethöhe der von den LWU neu gebauten Sozialwohnungen ist offen. Die Mietabsenkung muss auf 30% der Bruttowarm- statt Nettokaltmiete bezogen werden. Die 6%-Umlage der Modernisierungskosten ist zu hoch und muss auf die Amortisationszeit befristet werden.
  • Die Inhalte des geplanten „Handlungskonzepts für die soziale und ökologische Ertüchtigung des Wohnungsbestands“ bleiben offen.

Trotz dieser Schwächen: Mit dem Gesamtpaket ist der Politikwechsel in der Berliner Wohnungspolitik zwar noch nicht geschafft, aber eingeleitet. Wenn die Maßnahmen entschlossen und mit Biss umgesetzt werden, werden auch wir sie nach Kräften unterstützten. Die Mieter*innenbewegung ist gefordert, sich für die Durchsetzung dieser Maßnahmen stark zu machen.

 

Aber Papier ist bekanntlich geduldig. Die Beharrungskräfte in der Berliner Verwaltung sind hinlänglich bekannt. Vor allem die SPD und ihre Bastionen bei SenStadt und in den LWU stehen vor beträchtlichen Umorientierungen, deren Resultat nicht vorhersehbar ist. Auch der BBU will offenbar auf der Bremse bleiben.

 

Der „Regierende“ hat vor der Wahl die Wohnungsfrage zur „zentralen Frage“ für Berlin erklärt und eingeräumt, dass die SPD eine Wohnungspolitik an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei gemacht hat (Berliner Zeitung vom 13.10.16). Der Fraktionsvorsitzende Saleh beklagt nach der Wahl die „Spaltung zwischen der politischen Blase sowie der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger“ (Tagesspiegel vom 27.9.16). Es gibt Hoffnung, dass die SPD nicht nur aus dem Wahlergebnis gelernt hat. Wir sind auf jeden Fall gewappnet. Sollte Vieles nur Papier bleiben oder im Sande verlaufen, kann ein Mietenvolksentscheid 2.0 weiterhelfen.

 

Initiative Mietenvolksentscheid

 

Berlin, 18. November 2016

 

Download als PDF: Stellungnahme: Den Kurswechsel bei Bauen und Wohnen jetzt dauerhaft machen, für weitere Verbesserungen kämpfen!